Digitale Barrierefreiheit als Chance für Unternehmen

Die Digitalisierung bestimmt immer mehr unser Leben. Doch viele digitale Angebote sind für eine Vielzahl an Menschen nicht vollumfänglich zugänglich – mit weitreichenden Folgen, sowohl für die betroffenen Menschen als auch viele Unternehmen. Es gibt jedoch eine Lösung: Digitale Barrierefreiheit. Und es lohnt sich, an der Umsetzung zu arbeiten.

Ende Juni 2025 ist es so weit: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetzt (BFSG) tritt dann in Deutschland in Kraft. An dessen Umsetzung knüpft sich die Hoffnung, im Zuge der Digitalisierung immer mehr Menschen betreffende digitale Barrieren abzubauen und jedem in unserer Gesellschaft ein hohes Maß an digitaler Teilhabe zu ermöglichen. Denn längst nicht alle profitieren von den zweifelsohne großen Potentialen der Digitalisierung. Nichtmuttersprachler, ältere Generationen oder Personen mit einer Beeinträchtigung oder Behinderung stellt eine Vielzahl digitaler Angebote täglich vor Probleme. Ab dem 28.06.2025 sind Unternehmen und Dienstleister deshalb grundsätzlich dazu verpflichtet, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten. Dazu gehören vor allem Schritte zur Sicherstellung einer leicht verständlichen Navigation, klaren Inhalten und Möglichkeiten zur Interaktion, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen zugeschnitten sind – unabhängig davon, ob diese dauerhafter oder vorübergehender Natur sind. Denn in Zeiten, in denen unser Alltag zunehmend von Computern, Smartphones und Automaten bestimmt wird und Menschen dadurch in immer mehr Lebensbereichen auf digitale Technik angewiesen sind, sind digitale Barrieren auch aus unternehmerischer Sicht längst kein Luxusproblem mehr. Für Unternehmen, die sich erstmalig mit der Thematik befassen, wird die Umgestaltung von Websites, Softwares und mobilen Anwendungen zweifelsohne zunächst eine große Herausforderung darstellen. Diejenigen aber, die den Fokus auf die sich bietenden Chancen legen, können von einer frühzeitigen Umsetzung noch vor Inkrafttreten des Gesetzes langfristig profitieren.

Digitale Barrierefreiheit entscheidend für Image, Reputation und wirtschaftlichen Erfolg

Wie es um die digitale Teilhabe in Deutschland teilweise noch immer bestellt ist, zeigt exemplarisch ein aktueller Test zur digitalen Barrierefreiheit der meistbesuchten Online-Shops in Deutschland. Das Ergebnis: Nur jeder vierte war barrierefrei. Oder anders formuliert: 75 Prozent der untersuchten Online-Plattformen limitieren von vornherein ihr ökonomisches Potential, weil sie einen Teil ihrer Zielgruppe teilweise oder ganz ausschließen. In einem Land wie Deutschland, wo im Zuge des demographischen Wandels immer mehr ältere Menschen als mögliche Käuferinnen und Käufer nicht mehr erreicht zu werden drohen, werden sich das Unternehmen dauerhaft nicht leisten können. Eine höhere Zugänglichkeit kann dagegen zu einer Wanderung im Kundenstamm führen, weil größere Zielgruppen mit den eigenen Angeboten erreicht werden. Kundinnen und Kunden sind zufriedener und kommen immer wieder zurück. Denn eine der spürbarsten Folgen der Digitalisierung für Unternehmen ist, dass sich Touchpoints für bestehende sowie potentielle Kunden vermehrt ins Internet verlagern, wo Menschen primär nach Informationen über Unternehmen suchen. Ein glaubhaft positives Image in der digitalen Welt trägt daher immer stärker dazu bei, Vertrauen zu schaffen, die eigene Glaubwürdigkeit zu erhöhen und dadurch Kundinnen und Kunden langfristig an sich zu binden oder neu für sich zu gewinnen. Die Gewährleistung digitaler Barrierefreiheit unterstreicht mit Nachdruck, dass ein Unternehmen sich ernsthaft um Inklusion und soziale Verantwortung bemüht. Mittel- sowie langfristig trägt genau das maßgeblich dazu bei, bei allen für ein Unternehmen relevanten Stakeholdern ein positives Image als verantwortungsbewusstes Unternehmen zu formen. War es in der Vergangenheit ausreichend, sich mit der eigenen Corporate Social Responsibility, kurz CSR, zu befassen, ist es heute ratsam, diesen Gedanken der Unternehmensverantwortung im Sinne einer zeitgemäßen Digitalisierungsstrategie weiterzuentwickeln. Was es daher braucht, ist die konsequente Implementierung einer Corporate Digital Responsibility, kurz CDR. Der Aufbau von Vertrauen beginnt mit einer umfassenden Strategie zum verantwortungsvollen Umgang mit Technologien. Dabei muss der Mensch im Mittelpunkt stehen. Nur Unternehmen, die das begreifen und als mehr als nur ein Lippenbekenntnis verinnerlichen, werden ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht und können langfristig wettbewerbsfähig bleiben.

Weichenstellung für die Zukunft: Was Unternehmen jetzt machen können

Um digitale Angebote zugänglicher zu machen, fehlt es bei den verantwortlichen Stellen häufig an entsprechendem Wissen oder den erforderlichen Strukturen. Hier können externe Barrierefreiheitsexperten zu Rate gezogen werden, die Unternehmen anhand der jeweiligen Bedürfnisse beraten. Da spätestens ab 2024 mit einer hohen Nachfrage nach diesen Experten zu rechnen ist, empfiehlt sich für Unternehmen umso mehr, bereits jetzt mit der Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit zu beginnen. Die Ansätze sind dabei vielfältig und reichen von der Beratung, über Schulungen bis hin zur konkreten Umsetzung. Ein erster Schritt kann für Unternehmen auch die Evaluation bereits bestehender digitaler Produkte hinsichtlich ihrer Barrierefreiheit sein.  Schulungen setzen zudem idealerweise nicht nur auf Ebene der IT-Verantwortlichen an, sondern sollten immer das Management mit einbinden, damit eine Sensibilisierung für das Thema auch auf C-Level-Ebene erfolgt. Wiederum fallen ökonomische Gesichtspunkte ins Gewicht, denn bereits bestehende Webseiten und digitale Angebote barrierefrei umzugestalten, ist aufwendig. Wird Barrierefreiheit dagegen schon bei der Entwicklung oder bei einer Umgestaltung einer Webseite mitgedacht, entstehen weder großer Aufwand noch hohe Kosten. So wird digitale Barrierefreiheit in Zukunft zu einem immer wichtiger werdenden Wettbewerbsvorteil und ist idealerweise integraler Bestandteil jeder CDR-Strategie.

Fazit

Statt das BFSG als Bürde wahrzunehmen, sollten Unternehmen vielmehr die Chancen frühzeitig erkennen, die in einer konsequenten Umsetzung zugunsten mehr digitaler Teilhabe stecken. Unternehmen, die es nicht als Verpflichtung sehen, Menschen den Zugang zu digitalen Angeboten zu erleichtern, sondern das als eine Selbstverständlichkeit verinnerlichen, bietet sich die Möglichkeit, die Digitalisierung aktiv mitzugestalten. Je früher Unternehmen das mit Hilfe entsprechender Expertinnen und Experten umsetzen, desto glaubwürdiger werden sie als verantwortungsvolle gesellschaftliche Akteure wahrgenommen – was sich dann auch konsequent in langfristigem wirtschaftlichem Erfolg niederschlägt.


Über den Autor:

Michael Düren ist seit 2016 Leiter des Geschäftsfelds IT und verantwortet zudem den Bereich „Digitale Barrierefreiheit“ bei der in München ansässigen Stiftung Pfennigparade. Er beschreibt sich als Accessibility Advocate – jemand, der Zugänglichkeit und Barrierefreiheit sowie den gesellschaftlichen Diskurs darüber aktiv fördert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Aufmacherbild Quelle Lizenz
Foto von Lesly Juarez auf Unsplash