Wie ein digitaler Marktplatz einen Warendistributor zum Lösungs- und Technolgieanbieter macht und dadurch eine ganze Branche transformiert, verrät Daniel Nill, CEO der Turbine Kreuzberg GmbH, der TREND-REPORT-Redaktion.
Herr Nill, welchem Zweck dient die Live-Trading-Plattform Sourcengine?
Sourcengine ist eine globale Beschaffungsplattform für Elektronikkomponenten. Dahinter steht der 2015 gegründete US-amerikanische unabhängige Distributor Sourceability. Er agiert als Intermediär zwischen Lieferanten und Einkäufern der Elektronikbranche. Im Auftrag von Sourceability hat unsere Agentur die Plattform Sourcengine konzipiert und technisch umgesetzt.
Sourcengine ermöglicht Einkäufern erstmals aus einer Hand den Zugriff auf das Angebot von inzwischen rund 1.400 Lieferanten weltweit. Über die Plattform lassen sich Stückpreise sowie Verfügbarkeiten eigenständig und in Echtzeit recherchieren und benötigte Artikel künftig direkt aus dem unternehmenseigenen ERP-System heraus bestellen. Sourcengine schafft also erstmals eine globale Transparenz im Handel mit Elektronikkomponenten und beschleunigt den Bestellprozess. Zugleich dient die Plattform Lieferanten als Vertriebskanal.
Welche Anforderungen und Herausforderungen mussten Sie für Ihren Kunden Sourceability meistern?
Vor Entwicklung der Plattform agierte das Unternehmen weitgehend analog: Mitarbeiter von Sourceability nahmen Produktanfragen, die in der Branche nicht selten mehrere hundert Artikel umfassen, vom Kunden zum Teil noch per Fax entgegen. Sie ermittelten händisch aus bis zu 50 Portalen – und nicht selten durch den Griff zum Hörer – weltweit die günstigsten Preise sowie die zugehörigen Lieferzeiten. Die Kunden erhielten die gewünschten Informationen in Form einer Liste und konnten daraufhin über den Distributor ordern. Um 50 bis 100 Bestellungen zu generieren, mussten Mitarbeiter von Sourceability bis zu 100.000 Artikel recherchieren. Es musste also eine technische Lösung gefunden werden, die einen Katalog von 550 Millionen Artikeln in Echtzeit durchsuchbar macht und es außerdem ermöglicht, Preise und Verfügbarkeiten mehrerer Hundert Artikel gleichzeitig abzufragen. Aus technischer Sicht lagen entsprechend die größten Herausforderungen in der hohen Anzahl der Artikel sowie den extrem dynamischen Preisentwicklungen und referentiellen Abhängigkeiten innerhalb des Bestellprozesses.
Warum haben Sie den Pitch gewonnen?
Projekte mit einem solchen Umfang und einer solchen Komplexität lassen sich nur mit wenigen Technologien praktikabel realisieren. Im Falle von Sourcengine haben wir mit dem Spryker Commerce OS gearbeitet. Die Tatsache, dass wir eine der erfahrensten Agenturen im Umgang mit Spryker sind, hat für unseren Kunden sicher eine wichtige Rolle gespielt. Außerdem konnten wir mit einem umfangreichen Verständnis für den B2B-Handel, die spezifischen Herausforderungen der Branche und die unternehmenseigenen Geschäftsprozesse von Sourceability überzeugen. Auch durch unsere Erfahrung mit der Entwicklung großer Online-Marktplätze haben uns letztlich gegen 16 andere Bewerber durchgesetzt.
Daniel Nill, CEO der Turbine Kreuzberg GmbH
Welche Gruppen partizipieren an der Plattform und welche Wettbewerbsvorteile entstehen für die Teilnehmer?
Wichtigste Zielgruppe von Sourcengine sind Einkäufer für Elektronikkomponenten, die über einen nutzerfreundlichen Beschaffungsprozess eine große Zeitersparnis generieren und damit effizienter werden. Zudem sind sie nun in der Lage, internationale Warenbestände zu vergleichen und insbesondere die länderspezifische Preispolitik verschiedener Hersteller zu durchschauen, was bisher nur unter großem Aufwand möglich war.
Die Lieferanten wiederum erhalten über Sourcengine Zugang zu Kunden auf der ganzen Welt. Das ist ein echter Fortschritt für den Handel mit Elektronikkomponenten, der historisch eher regional geprägt ist. Auch der Zweitverkauf überschüssiger Bestände durch Hersteller und Fertiger wird dank Sourcengine leichter. Darüber hinaus können kleine Händler und Hersteller via Sourcengine ihre Waren online anbieten, was innerhalb der klassischen Strukturen bisher nicht wirtschaftlich war.
Für Sourceability selbst liegt der Mehrwert in den durch gesenkte Aufwände freigewordenen personellen Kapazitäten. Die Mitarbeiter können mehr Kunden unterstützten, sich um eine individuelle Betreuung von Kunden und Herstellern sowie die Entwicklung neuer Geschäftsfelder kümmern – ihre Arbeit wird also strategischer. So lässt sich mehr Geschäft generieren und ein kontinuierliches Wachstum sicherstellen.
Mit welchen Technologien wurde die Live-Trading-Plattform realisiert und programmiert?
Sourcengine wurde auf Basis des Commerce-Betriebssystems Spryker Commerce OS entwickelt. Um die enorme Anzahl von 550 Millionen Artikeln durchsuchen zu können, mussten zusätzliche Speicherkapazitäten geschaffen werden. Dazu wurde „Elasticsearch”, eine Suchmaschine auf Basis von Lucene, implementiert. Sämtliche Artikel werden in speziellen Datenbanken gespeichert und können innerhalb von zehn Sekunden durchsucht werden. Zudem wurde die Plattform als so genanntes Headless System programmiert, das Frontend- unabhängig ist und eine Anbindung an bestehende ERP-, CMS- oder PIM-Systeme von Einkäufern und Lieferanten ermöglicht.
Das im Rahmen des Projektes entwickelte Feature fastQuote erlaubt es, die in der Beschaffung üblichen Stücklisten, so genannter Bills of Materials (BOM), automatisch in die Plattform einzulesen. Einkäufer müssen also nicht sämtliche Artikel einzeln suchen, sondern laden stattdessen ihre BOM bequem als CSV- oder Excel-Datei in das System hoch. Sämtliche enthaltenen Artikel werden automatisch im Angebotskatalog gesucht und verfügbare Angebote in Abhängigkeit von Preis und Lieferzeit angezeigt.
Das Team von Daniel Nill entwickelte eine Plattform, die in einem 400- Milliarden-Dollar-Markt „erstmalig globale Transparenz hinsichtlich Preis und Lieferzeiten“ gewährt.
Warum ist Customer Centricity auch im B2B-Bereich wichtig? Was macht Ihre Lösung benutzerfreundlich?
Der Trend zu einer stärkeren Kundenzentrierung auch im Geschäftskundenbereich wird sich weiter verstärken. Gerade weil die Strukturen und Prozesse im B2B in der Regel komplexer sind, ist es erfolgsentscheidend, die Herausforderungen und Pain Points von Einkäufern zu antizipieren und zu adressieren, um dem Wettbewerb die entscheidende Nasenlänge voraus zu sein.
Sourcengine ist für den Einkäufer konzipiert, die radikale Vereinfachung des Einkaufsprozesses ist ein Musterbeispiel für Kundenzentriertheit, was sich wiederum am steten Wachstum der Nutzerzahlen seit Launch ablesen lässt.
Von welchen Entwicklungszeiten sind Sie ausgegangen und wie ist die Entwicklung verlaufen?
Wie funktionierte die Zusammenarbeit mit Sourceability und welche Rolle spielte Agilität dabei?
Das Projekt war von der Konzeptionsphase bis zum Launch der Plattform auf einen Zeitraum von einem knappen Jahr angelegt, die Umsetzung dauerte schließlich nur neun Monate. Der interne Launch war für April/Mai 2018 angesetzt, und dieser Zeitrahmen wurde auch eingehalten, was bei Projekten vergleichbaren Ausmaßes eine besondere Leistung ist. Dazu beigetragen hat zum einen die agile Arbeitsweise von Turbine Kreuzberg und zum anderen die enge Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber, Technologieanbieter und uns als verantwortliche Digitalagentur. Es wurden Mitarbeiter von Kundenseite sowie zwei Core-Entwickler von Spryker Professional Service fest in unser 15-köpfiges Entwicklerteam integriert, um die Kommunikation und den Wissensaustausch zu erleichtern. Im Oktober 2018 wurde Sourcengine offiziell gelauncht und nach und nach global ausgerollt.
Beim Aufbau von jeglichen E-Procurement-Systemen gilt es jedoch zu bedenken, dass sich die akzeptierten Oberflächen, mit denen die Nutzer interagieren, immer schneller und dynamischer wandeln. B2B-Shops sind schon jetzt nichts anderes als eine Übergangslösung. Die Geschäftsmodelle können nur von Bestand sein, wenn sie perspektivisch über kundeneigene ERP-Systeme anbindbar sind und Bestellungen direkt aus der kundeneigenen IT-Infrastruktur getätigt werden können. Für die Zukunftsfähigkeit jeder Neuimplementierung ist es deshalb essentiell, Frameworksysteme zu nutzen, deren Backend letztlich mit jedem Frontend kombiniert werden kann – egal, ob das ein ERP-System, ein Online-Marktplatz oder Amazon Echo ist.
Weiterführende Informationen:
https://turbinekreuzberg.com/de
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