Die Blockchain revolutioniert den Energiemarkt
Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Tom Kraus. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Begleitforschung des Technologieprogramms Smart Service Welten, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wird.
Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung steigt seit Jahren und lag 2019 bei über 40 Prozent. Damit dieser Anteil auch in den kommenden Jahren wächst, bedarf es eines Umdenkens auf dem Energiemarkt: Denn die Erzeugung von Sonnen- und Windenergie ist wetterabhängig und kann somit stark schwanken. Der etablierte Großhandelsmarkt für Energie stößt dadurch zunehmend an seine Grenzen. Lokaler Stromhandel und Versorgungsnetzwerke bis hinunter auf Nachbarschaftsebene können dazu beitragen, den Ökostrom effizienter als bisher zu nutzen. Die Blockchain-Technologie bietet dafür zahlreiche Möglichkeiten.
Der traditionelle Großhandelsmarkt für Energie setzt auf die Nutzung von konventionellen Großkraftwerken, die mit Kohle, Gas oder Kernkraft jeweils genau die Menge an Strom erzeugen, die über den Handel verkauft bzw. gekauft werden. 2018 waren in Deutschland noch 480 konventionelle Großkraftwerke in Betrieb. Demgegenüber standen im gleichen Jahr bereits 1,7 Millionen Anlagen für erneuerbare Energie. Viele von diesen Anlagen werden von sogenannten „Prosumern“ betrieben. Damit gemeint sind vor allem Eigenheimbesitzer, die mit Photovoltaik-Anlagen Strom produzieren und überschüssigen Strom ins Netz einspeisen, aus dem sie zugleich bei Bedarf auch Strom beziehen.
Mit der Vielzahl solcher Akteure wächst der Koordinierungsbedarf. Und das aktuell gleich in zweifacher Hinsicht.
- Ab 2021 müssen für Betreiber von erneuerbaren Erzeugungsanlagen dringend neue Vermarktungswege geschaffen werden, da die Förderung für die ersten Anlagen nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) dann ausläuft. Somit lohnt sich ein Weiterbetrieb aus betriebswirtschaftlicher Sicht in vielen Fällen nicht mehr und der Anreiz, den erzeugten Strom nur noch für die Deckung des eigenen Stromverbrauchs zu nutzen, steigt. Dies würde – genau wie der massenhafte Abbau dieser Anlagen – zu einem Rückgang des Anteils der Erneuerbaren an der Stromerzeugung führen.
- Mit der zunehmend schwankenden Stromerzeugung aus Sonne und Wind sowie der wachsenden Zahl von Anlagen und Betreibern erhöht sich fortlaufend der Aufwand, um die Netzstabilität zu gewährleisten.
Als Lösung für beide Herausforderungen bietet es sich an, lokale Energiemärkte und lokale Versorgungsnetzwerke zu schaffen. Wird Energie auf lokaler Ebene getauscht, entlastet das die Netze auf höheren Ebenen. Zudem entstehen neue Vermarktungsmöglichkeiten – sodass es sich lohnt, Anlagen auch nach dem Auslaufen der staatlich garantierten Einspeisevergütung zu betreiben.
Vier Projekte des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Technologieprogramms Smart Service Welten erarbeiten Lösungswege für einen lokalen Energiehandel bzw. -austausch. In allen vier Projekten spielt die Blockchain eine zentrale Rolle. Sie wird dabei zur Schaffung dezentraler Strukturen zum Austausch von Energie eingesetzt, um digitale Herkunftsnachweise zu erbringen oder auch um eine faire Strom-speicherbewirtschaftung in lokalen Communities zu ermöglichen.
Die Blockchain ermöglicht neue Formen des lokalen Energiehandels
Der lokale Energiehandel lässt sich auf unterschiedliche Weise realisieren. Eine Möglichkeit ist der blockchainbasierte Peer-to-Peer-Handel, wie er vom Projekt pebbles entwickelt wird. Jeder Teilnehmer kann dabei sowohl Anbieter als auch Käufer von Strom sein. Damit Erzeuger und Verbraucher sich im Sinne der Netzstabilität verhalten, stattet pebbles den lokalen Energiemarkt mit entsprechenden Anreizen aus: Dafür wurde eine Plattform sowie ein Energiemanagementsystem entwickelt, über die der Energiehandel weitgehend automatisiert erfolgt. Auf diese Weise können Unternehmen oder Privatkunden ihre Stromlasten soweit möglich verschieben und so energieintensive Geräte wie etwa die Waschmaschine dann starten, wenn absehbar auch besonders viel Strom aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung steht. Die Teilnehmer haben dabei die Möglichkeit, individuelle Präferenzen für den sogenannten „Day-Ahead“-Handel festzulegen. Basierend darauf und unter Berücksichtigung der Netzbeschränkungen werden die verfügbaren Stromlieferanten so zugeordnet, dass entsprechend der gesetzlichen Abgaben und Netzentgeltregelungen am nächsten Tag immer möglichst wenige Kosten anfallen.
Einen anderen Akzent für lokalen Energiehandel setzt das Projekt ETIBLOGG: Es ermög-licht einen regionalen, echtzeitnahen Handel auf Peer-to-Peer-Basis in Intervallen von jeweils 15 Minuten und schafft damit die Voraussetzung, sehr schnell zwischen Angebot und Nachfrage zu vermitteln. Der Vorteil dieses börsenähnlichen, sogenannten „Intra-Day-Handels“ besteht darin, dass der Energiemarkt sich auch im Verlauf eines Tages unmittelbar an geänderte Witterungsbedingungen anpassen kann. Das Modell ist vor allem für stromproduzierende Gewerbe- und Kleingewerbebetriebe sowie Nachbarn interessant. Durch den Echtzeitenergiehandel mittels maßgeschneiderter Blockchain-Lösung lohnen sich Kauf und Verkauf selbst bei geringen Strommengen. Der dafür zum Einsatz gebrachte smarte Handelsassistent ist individuell zu konfigurieren und übernimmt den Handel automatisiert, sodass keine Vorkenntnisse für den Stromhandel notwendig sind.
Virtuelle Stromspeicher und regionaler Markenstrom
Ein Schlüsselelement zur Stärkung lokaler Energieversorgungsnetzwerke sind lokale Stromspeicher. Wie diese Stromspeicher durch eine gemeinschaftliche Bewirtschaftung effizienter genutzt werden können, zeigt das Projekt BloGPV eindrucksvoll. So wird hier demonstriert, dass durch den Einsatz der Blockchain-Technologie ein virtueller Großspeicher etabliert werden kann, dessen Unterhaltung für alle Teilnehmer gleichermaßen wirtschaftlich lohnend ist. Im Projekt BloGPV schließen sich dafür private Solaranlagenbetreiber zu einer lokalen Energie-Community zusammen. Produzieren die Teilnehmer Strom, den sie selbst nicht verbrauchen oder einspeichern können, wird dieser in den Stromspei-chern der Nachbarschaft verteilt. Umgekehrt können Teilnehmer dann wiederum zu redu-zierten Tarifen Strom abrufen, wenn dieser in großem Umfang in der Community verfüg-bar ist. Solche Energie-Communities können ihren Mitgliedern damit zu einer höheren Flexibilität verhelfen, außerdem die Stromerzeugung und den Verbrauch lokal besser in Einklang bringen und damit zugleich die Netzstabilität stärken.
Auch im Projekt SMECS stehen lokale Energie-Communities im Mittelpunkt. Bei SMECS schließen sich dafür Erzeuger und Verbraucher über eine Plattform zusammen, über die sie Strom untereinander auszutauschen. SMECS nutzt dabei die Möglichkeit der Blockchain, einen sicheren Herkunftsnachweis für Strom zu liefern. Wer Strom aus diesen Communities bezieht, kann sich daher sicher sein, dass der Strom auch tatsächlich aus seiner Region stammt. Strom lässt sich damit als Markenprodukt mit lokalem Bezug ver-kaufen, was ein zusätzliches Kriterium schafft, sich bewusst für regenerativ erzeugten Strom aus der Region zu entscheiden.
Alle vier Projekte nutzen derzeitige geltende Abgaben- und Netzentgeltregelungen, um die Stromkosten für die Beteiligten zu minimieren. So sind beispielsweise nicht EEG-geförderte Anlagen mit geringer Kapazität von der Stromsteuer befreit, wenn sie ihren Strom regional in einem Umkreis von 4,5 km um die Erzeugeranlage direkt vermarkten. Um die Energiewende auch in Zukunft voranzutreiben, sollten jedoch unbedingt mehr solcher Anreize geschaffen werden. Vor allem die gezielte Förderung von Lokalstrom sowie die Flexibilisierung des Netzentgeltsystems wäre mit Blick auf die in den Projekten gemachten Erfahrungen wünschenswert.
Mehr Informationen über die vier Energieprojekte der Smart Service Welten sind in der aktuellen Publikation „Energierevolution – getrieben durch Blockchain“ enthalten. Die Publikation aus der wissenschaftlichen Begleitforschung des Technologieprogramms kann auf der Website heruntergeladen werden: www.smartservicewelten.de.