Transparente, nachhaltige Lieferketten
Wie Unternehmen den Anforderungen des neuen Lieferkettengesetzes begegnen können, berichtet Martin Berr-Sorokin, CEO und Gründer von IntegrityNext, der TREND-REPORT-Redaktion.
Herr Berr-Sorokin, wie stellt sich das neue Lieferkettengesetz im Kontext einer „nachhaltigen Entwicklung“ dar und welche Unternehmen sind betroffen?
Das Lieferkettengesetz soll die Einhaltung von menschenrechtlichen und ökologischen Mindeststandards in internationalen Lieferketten sicherstellen und damit nachhaltig zu besseren Bedingungen für Mensch und Natur beitragen. Deutsche Unternehmen werden in die Pflicht genommen diese Mindeststandards bei allen unmittelbaren Zulieferern kontinuierlich zu überprüfen und jährlich darüber Bericht zu erstatten. Bei Verstößen gegen diese sogenannte Sorgfaltspflicht drohen erhebliche Bußgelder und der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen. Direkt betroffen sind ab 2023 Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten sowie ab 2024 auch bereits Firmen ab 1.000 Beschäftigten.
Welche Herausforderungen müssen vom Einkauf (Beschaffung) gemeistert werden?
Einkaufs- und Supply-Chain-Abteilungen trifft hierbei eine besondere Verantwortung und sie stehen im Wesentlichen vor zwei Herausforderungen: Zum einen stellt die schiere Menge an Lieferanten, die ein Unternehmen üblicherweise hat schon eine Schwierigkeit dar – vor allem dar das Gesetz alle Arten von Lieferanten einschließen wird (Dienstleister, Rohstofflieferanten, Hersteller, etc.) – das können viele Tausende oder sogar Zehntausende von Zulieferern sein, die kontinuierlich überprüft werden müssen. Da kommt man mit Papier und Bleistift sowie traditionellen Methoden wie Audits nicht weit. Eine weitere große Herausforderung ist die Vielzahl der zu berücksichtigenden Risikofelder, die abzudecken sind.
Welche Lösungen bieten Sie in diesem Kontext?
Vor dem Hintergrund wird deutlich, warum so lange über das Lieferkettengesetz diskutiert wurde. Aus der Wirtschaft kamen Einwände, dass die Herausforderungen für Unternehmen einen zu großen Aufwand und damit einen Wettbewerbsnachteil bedeuten. Diese Angst muss man den betroffenen Unternehmen nehmen – die Anforderungen sind machbar und die Sorgfaltspflicht kann mithilfe von Technologie auch ressourcenschonend erfüllt werden. Nachhaltigkeits-Plattformen wie IntegrityNext bieten Unternehmen eine Lösung, die hochskalierbar ist und somit die Überprüfung einer Vielzahl von Lieferanten ermöglicht, und zudem die geforderten Gesetze und Standards abdeckt – somit muss das Rad auch nicht neu erfunden werden.
Wie funktionieren diese genau und welche Rolle spielen dabei neue KI-Technologien?
IntegrityNext holt von den Lieferanten automatisiert standardisierte Assessments zu bis zu 21 Nachhaltigkeitsthemen ein, die auf den entsprechenden Standards basieren und alle im Lieferkettengesetz definierten Risikofelder abdecken. Die Geschäftspraktiken sowie die Zertifikate der Lieferanten werden auf der Plattform validiert und konsolidiert. Zusätzlich werden in den Medien Milliarden von Nachrichten gescannt und analysiert, um Negativmeldungen über Lieferanten herauszufiltern und dadurch Risiken frühzeitig zu erkennen – das geht heute nur mit KI, also künstlicher Intelligenz. IntegrityNext erstellt anhand der gesammelten Daten einen Report nach GRI-Standards, wodurch Unternehmen bei der Berichterstattung unterstützt werden.
Was waren die Gründe für das Lieferkettengesetz und warum kommt es dazu?
Deutschland hat wie viele weitere EU-Staaten zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte einen Nationalen Aktionsplan (NAP) aufgestellt, mit dem Ziel, dass bis 2020 zumindest die Hälfte der deutschen Unternehmen mit über 500 Beschäftigten menschenrechtliche Sorgfalt in ihre Prozesse integriert haben soll. Ein Monitoring der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit EY ergab nach zwei Auswertungsrunden, dass diese Anforderungen nur 13-17% der befragten Unternehmen erfüllten. Laut Koalitionsvertrag muss es daher zu einer gesetzlichen Regelung für die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht kommen: Am 03.03.2021 wurde der Entwurf für das sogenannte Lieferkettengesetz im Bundeskabinett verabschiedet.
Welche grundlegenden Elemente beinhaltet das Lieferkettengesetz?
Das Lieferkettengesetz beinhaltet Regelungen zu Sorgfaltspflicht, Berichtspflicht und Sanktionen bei Verstößen der betroffenen Unternehmen. Konkret bedeutet dies, dass Unternehmen verpflichtet sind, ein systematisches Risikomanagement einzuführen, um Risiken (in den definierten Risikofeldern wie Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Diskriminierung, Umweltschutz und Weiteren) bei Zulieferern zu ermitteln und kontinuierlich zu analysieren, geeignete und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, einen Beschwerdemechanismus einzurichten und jährlich über die tatsächlichen und potentiellen Auswirkungen ihres Handelns transparent und öffentlich zu berichten. Bei Verstößen drohen Unternehmen Bußgelder sowie der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen für bis zu 3 Jahre.
Wie lange haben Unternehmen Zeit bis das neue Lieferkettengesetz ratifiziert wird?
Für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten wird das Gesetz im Januar 2023 in Kraft treten. Für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten wird es ab Januar 2024 gelten. In beiden Fällen sollte man die Zeit nutzen, sich auf die neue Gesetzeslage vorzubereiten, entsprechende Tools und Methoden einzurichten. Je eher sich Unternehmen jetzt dem Thema annehmen, umso besser – und umso weniger Druck gibt es hinten raus. Die Anforderungen schon vor Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes zu erfüllen kann zudem einen erheblichen Wettbewerbsvorteil darstellen.
Welche Risiken kommen in diesem Kontext auf die deutsche Wirtschaft zu?
Während der Diskussionen um das Lieferkettengesetz wurden immer wieder Stimmen laut, das Gesetz bringe für die betroffenen Unternehmen einen zu hohen Aufwand, sei unzumutbar und würde einen erheblichen Wettbewerbsnachteil für deutsche Firmen mit sich bringen. Dass der Wirtschaftsstandort Deutschland unter einem solchen Gesetz leidet, möchte natürlich niemand. Dennoch ist sicherlich allen bewusst, dass etwas getan werden muss – der Druck kommt auch von anderen Seiten. Daher würde ich das Lieferkettengesetz eher als Chance sehen, unsere Firmen zeitnah nachhaltig und somit zukunftssicher zu machen.
Wie können sich Unternehmen am besten auf das neue Lieferkettengesetz vorbereiten?
Unternehmen sollten sich zeitnah mit dem neuen Lieferkettengesetz auseinandersetzen und ermitteln, welche ihrer Geschäftsbereiche und internen Prozesse dies betreffen wird. Dann gilt es natürlich das oben definierte Risikomanagementsystem zu implementieren und konsequent in die eigenen Strukturen zu integrieren. Unternehmen werden Elemente sicherlich schon Stand heute abdecken – hier ist eine Bestandsaufnahme sinnvoll, die dann sukzessive ergänzt werden kann. Als wichtig erachte ich auch die frühzeitige Kommunikation mit den Lieferanten – je eher diese wissen, was zukünftig von ihnen erwartet wird und welche Informationen eingefordert werden, desto schneller schaffen Unternehmen die nötige Transparenz in ihren Lieferketten.
Welche Rolle spielt die EU bei der Gesetzgebung und inwieweit haben unsere europäischen Nachbarn eine nachhaltige Lieferkette bereits implementiert?
In einigen unserer Nachbarländer gibt es bereits seit Jahren gesetzliche Regelungen zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht in der Lieferkette – das kann zur Vorbereitung und Einschätzung der Tragweite unseres Lieferkettengesetzes hilfreich sein. In Großbritannien (nun zwar nicht mehr EU) gibt es den UK Modern Slavery Act, der eine Berichtspflicht hinsichtlich Menschenhandel und Sklaverei in der gesamten Lieferkette vorsieht. In Frankreich wurde 2017 das Loi de Vigilance verabschiedet, das Unternehmen zur Erstellung, Veröffentlichung und Umsetzung eines jährlichen Sorgfaltspflichtenplans verpflichtet. Auch die Niederlande hat seit 2019 ein Gesetz zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Kampf gegen Kinderarbeit. Derzeit steht auch eine EU-weite Regelung zur Diskussion, die gleiche Bedingungen für alle schaffen könnte.
Plattform IntegrityNext
Welche Infrastruktur und Plattform bieten Sie Ihren Kunden an?
IntegrityNext ist eine cloud-basierte Plattform. Dies hat gleich mehrere Vorteile: Zum einen ermöglicht es die Bereitstellung einer hochperformanten und ausfallsicheren Umgebung. Dies ist bei globalen Lieferantennetzwerken eine der wichtigsten Voraussetzungen, um Daten von vielen Tausenden von Lieferanten zu sammeln und kontinuierlich zu analysieren – Stand heute wird IntegrityNext in 155 Ländern der Welt genutzt. Menschen mögen schlafen, die Welt schläft nie.
Welche Rolle spielen in Ihrer Lösung neue Technologien rund um KI?
KI ist ein wichtiges Stichwort. Wir nutzen Künstliche Intelligenz in unserer sogenannten Supplier Monitoring AI, die Milliarden von Nachrichten in Medien scannt und per Natural Language Processing negative Meldungen zu den Lieferanten herausfiltert und Risiken frühzeitig erkennt.
„Wir legen großen Wert auf eine exzellente Benutzererfahrung (user experience). Es ist uns wichtig, dass unsere Plattform sowohl vom Kunden als auch dessen Lieferanten leicht und intuitiv zu bedienen ist.“
Martin Berr-Sorokin
Und wie gehen Sie dabei vor? Welche Datenquellen nutzen Sie dabei?
Verschiedenste Datenquellen: Nachrichtenmagazine, internationale Behörden, NGOs. Die sozialen Medien eignen sich gut, um an Hintergrundinformationen zu kommen, wie etwa von Experten und Mitarbeitern.
Inwieweit ist es möglich auch Sub-Lieferanten zu analysieren und zu überwachen?
Lieferanten können bei IntegrityNext problemlos wieder ihre eigenen Lieferanten analysieren und überwachen und so weiter. So kaskadiert das Thema in die Sub-Lieferantenstrukturen hinein. Gleichzeitig kann die IntegrityNext Plattform auch konkrete Lieferketten abbilden. Dies ist in einigen Themengebieten wie Konfliktmineralien bereits gesetzlich verpflichtend, wo Analysen bis auf die Schmelzen gefordert werden. Das derzeitige Lieferkettengesetz sieht diese Form der Analysen nicht vor.
Gibt es eine Realtime-Datenauswertung?
Auf der IntegrityNext Plattform passiert alles in Echtzeit: Assessments, Statusänderungen, Negativmeldungen und Risikowarnungen. Selbst die Datenübertragung in externe Systeme geschieht in Echtzeit, sodass Einkäufer jederzeit Zugriff auf aktuelle Lieferantendaten hinsichtlich Nachhaltigkeit haben.
Wie viel Know-how muss ich als Einkäufer mitbringen, um auf Ihrer Plattform erfolgreich zu sein?
Wir legen großen Wert auf eine exzellente Benutzererfahrung (user experience). Es ist uns wichtig, dass unsere Plattform sowohl vom Kunden als auch dessen Lieferanten leicht und intuitiv zu bedienen ist. Da IntegrityNext komplett automatisiert und standardisiert ist, braucht man wenig Know-how im Bereich Nachhaltigkeit – die Plattform deckt alle wichtigen Nachhaltigkeitsthemen ab und als Kunde muss ich nur noch entscheiden welche Lieferanten zu welchen Themen analysiert werden sollen. Unsere Mitarbeiter vom Customer Success Management unterstützen dabei maßgeblich, sodass unsere Kunden in der Regel ohne viel Anlaufzeit schnelle Erfolge erzielen.
Welche Schnittstellen (APIs) bieten Sie an, im Hinblick auf die gängingen ERP- und Risikomanagementlösungen.
IntegrityNext bietet Schnittstellen zu nahezu allen gängigen ERP- und Risikomanagementlösungen, sodass Unternehmen Nachhaltigkeitsdaten nahtlos – und zumeist in Echtzeit – in ihre bestehenden Prozesse integrieren können. Wir haben auch schon Integrationen in Unternehmens-eigene Tools umgesetzt.
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