Welche Rolle spielen kulturelle Werte im Personalwesen?
Autorin Sham Jaff
Wirtschaftliche und kulturelle Globalisierung
Kulturkampf?
Globalisierung ist das große Modewort der vergangenen Jahre. Kaum ein Thema wird so intensiv und kontrovers diskutiert. Globalisierungsbefürworter verbinden mit ihr die gegenseitige Annäherung der Kulturen, fusionierende Großunternehmen und Entfaltungsmöglichkeiten, die jegliche Erwartungen übersteigen. Doch es gibt genauso viel Kritik.
Man fürchtet die Dominanz der Ökonomie, den Ausfall regionaler Vielfalt sowie eine zunehmende Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Bereits in den 1960er Jahren fragte man sich, wie das mit der Globalisierung nun genau funktionieren würde. Unternehmen, national sowie international, beschäftigen inzwischen Mitarbeiter aus unterschiedlichen Kulturkreisen, die zusammenarbeiten müssen und sollen. Die große Herausforderung ist es, Rahmenbedingungen für ein harmonisches Miteinander zu schaffen. Denn die Hürden und Vorurteile verschiedener Kulturen gilt es aus dem Weg zu räumen. An dieser Stelle könnte man die Frage stellen, ob Samuel Huntington mit seiner These vom »Kampf der Kulturen« recht behalten hat. Der US-Wissenschaftler sorgte mit seinem Aufsatz vor etwa 20 Jahren für viel Gesprächsstoff. Seine Prognose lautete: Nicht Wirtschaft oder Ideologie würden die Menschen spalten und ihre nächsten großen Konflikte auslösen, sondern Zivilisation. Eine Zivilisation definiere sich durch ihre Kultur, Tradition, am meisten aber durch Religion, und der Kampf der Kulturen werde vor allem Morgenland und Abendland entzweien. Meines Erachtens nach ist diese Weltanschauung nicht mehr zeitgemäß. In der heutigen Zeit sind nicht unterschiedliche Religionen Schuld an einem sogenannten Kampf der Kulturen. Eher spielt der Unterschied zwischen wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt eine weitaus tragendere Rolle.
Dafür sind unter anderem multinationale Großunternehmen verantwortlich, wobei die Personalführung in diesem Zusammenhang ausschlaggebend ist. Wirtschaftswachstum ist demnach nicht nur eine Frage von steigenden Umsätzen, sondern auch das Resultat eines funktionierenden Personalwesens. Im weiteren Verlauf soll dieser Aspekt näher beleuchtet werden.
»Kampf der Unternehmenskulturen«
Personalführung ist nicht nur im nationalen Rahmen ein komplexes Thema. Vor allem im internationalen Umfeld sind zahlreiche Führungstheorien hierzu entstanden. Die eine, »richtige« Personalführung kann es nicht geben. Trotz Globalisierung können nationale und situative Handlungskontexte und Persönlichkeiten vielfältig sein. Mag die nationale Herkunft in den westlichen Industriestaaten weniger eine Rolle spielen, so ist sie im Nahen Osten oft entscheidend. Die Nationalität und der kulturelle Hintergrund des Einzelnen sind hier von großer Bedeutung. Oft entscheiden sie über Faktoren wie gewünschte oder erwartete Verhaltensweisen von Führungskräften oder Vorstellungen der Mitarbeiter hinsichtlich Partizipation oder Entscheidungsfreiheit.
Das Buchprojekt HR Innovation möchte neue Wege der Zusammenarbeit finden und damit das Personalmanagement insbesondere in westlichen Ländern verbessern helfen. Im Rahmen dieses Book Sprints halte ich es für richtig, auch regional über den Tellerrand zu schauen und neue Brücken zu bauen – zum boomenden Nahen Osten.
Kultur macht den Unterschied
Die kulturellen Unterschiede zwischen Ost und West erklären das jeweils unterschiedliche Wirtschaftswachstum. Während sich das Personalmanagement in Deutschland beispielsweise primär mit Fragen der Work-Life-Balance oder Kreativitätsförderung beschäftigt, geht es im Nahen Osten um Grundsätzlicheres: die Arbeitsmoral.Zwar haben sich kulturelle Werte im Zuge der Internationalisierung einander angenähert, doch die von Huntington definierten Unterschiede der Kulturräume sind nach wie vor stark. Diese gilt es im Personalwesen von multinationalen Unternehmen so gut wie möglich zu überbrücken – denn kulturelle Werte bedingen die persönliche Einstellung zur Arbeit, daher auch die Leistung im Arbeitsleben.
Das Personalwesen eines multinationalen Unternehmens muss daher gewährleisten, dass interkulturell kompetente Führungskräfte die verschiedenen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter berücksichtigen, um die Menschen ihrer Herkunft entsprechend zu motivieren und zu führen. Sie haben zudem die wichtige Aufgabe, Menschen, die andere kulturelle Werte haben, adäquat entgegenzukommen
Zufriedenheit macht produktiv
Ein generelles Verständnis für die Zusammenhänge zu entwickeln, in denen Arbeitswerte entstehen, ist insbesondere für Personalmanager in multinationalen Unternehmen wichtig. Nur wer sich richtig angesprochen und behandelt fühlt, kann zufrieden sein. Nur wer zufrieden ist, kann produktiv sein. Zielorientierte Maßnahmen und Ressourcenplanung bedingen nur teilweise den Erfolg eines Unternehmens. Eine geeignete Unternehmenskultur ist mindestens genauso wichtig.
Religion als Beispiel kultureller Diversität
Religion ist Privatsache. Bestimmte Aspekte des gelebten Glaubens jedoch erfordern die Aufmerksamkeit der Führungskräfte. Allgemeine Kenntnisse über Religion und Kultur des Arbeitnehmers zeigen Respekt und Wertschätzung. Zum muslimischen Glauben gehört beispielsweise der Fastenmonat Ramadan, in dem gläubige Muslime an insgesamt 29 beziehungsweise 30 Tagen enthaltsam leben. Dies bedeutet, dass sie tagsüber weder essen noch trinken, außerdem nicht rauchen und auch keinen Geschlechtsverkehr haben. Vor allem durch den Verzicht auf Flüssigkeiten kann das Fasten nicht nur bei schwerer körperlicher Arbeit zu Dehydrierung und damit einhergehender Konzentrations-schwäche führen, sondern auch bei Büroarbeit. Die islamischen Feiertage werden nach dem Mond berechnet. Aufgrund der kürzeren Mondmonate verschiebt sich der Ramadan um 10 oder 11 Tage pro Jahr Richtung Jahresanfang im Laufe eines gregorianischen Kalenders.
Wann ist Ramadan?
2015: 17.06. – 17.07.
2016: 06.06. – 05.07.
2017: 27.05. – 25.06.
2018: 16.05. – 14.06.
In den nächsten Jahren erstreckt sich die Fastenzeit im Ramadan weiterhin über die Sommerzeit, was erhebliche Auswirkungen auf Muslime haben kann. Abhängig vom Unternehmensstandort können Sommertage hierzulande bis zu 17 Stunden andauern. Außer den bereits geschilderten Auswirkungen auf den Organismus können sich gesundheitliche Probleme als Folge von zu großen Mahlzeiten in der Nacht und einem anhaltenden Schlafmangel ergeben.
Ein Szenario aus »Kampf der Unternehmenskulturen« ist gar nicht so abwegig. Im Fastenmonat Ramadan im Nahen Osten werden die Öffnungszeiten in öffentlichen Einrichtungen häufig verkürzt. Während des islamischen Opferfestes bleiben sie sogar für vier Tage geschlossen. Die Uhren ticken deutlich langsamer und die Gesellschaft läuft in Zeitlupe – unvorstellbar für die westlichen Gesellschaften, in denen Effizienz und Produktivität oberste Maxime des Leistungsprinzips sind. Diese Effizienz von fastenden Mitarbeitern ungeachtet ihrer besonderen gesundheitlichen Umstände zu fordern, entspricht nicht den Grundgedanken einer integrativen Unternehmenskultur.
Eine erfolgreiche multikulturelle Personalführung weiß hiermit jedoch umzugehen. Nicht nur Führungskräfte, sondern auch das kollegiale Umfeld auf die besonderen Umstände des fastenden Mitarbeiters aufmerksam zu machen, ist eine wichtige Aufgabe des Vorgesetzten. Informationen zu Ramadan beispielsweise in Newslettern sowie Glückwünsche zum Ende des Fastenmonats helfen, Respekt für die Kultur und Tradition des Mitarbeiters zu zeigen und somit kommunikativ starke Brücken zu Vorgesetzten und Kollegen zu bauen. Darüberhinaus können einfache Änderungen wie das Einrichten von Gebetsräumen oder interkulturellen Kalendern, in dem die wichtigsten Fest- und Feiertage verschiedener Kulturen und Religionen eingezeichnet sind, eine Atmosphäre von Akzeptanz beziehungsweise Toleranz schaffen und damit beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit gewährleisten.
Ebenso trägt eine flexible Arbeitszeitgestaltung, beispielsweise zur Durchführung von religiösen Praktiken, zu einer größeren Arbeitszufriedenheit bei. Gesundheitsmanagement ist kein Fremdwort in vielen großen Unternehmen, wo sogenannte Gesundheitslotsen oder Kulturvermittler, geschulte Mitarbeiter zum Thema Gesundheit am Arbeitsplatz, als Mittler zwischen den Kulturen fungieren.
In beiden Kulturen, der christlichen und der islamischen, habe ich lange gelebt und gearbeitet. Aufgrund des rauen Umgangstons, peniblem Bestehen auf Pünktlichkeit (ungeachtet meiner Effizienz) und teilweise völliger Ignoranz gegenüber meines kulturellen Hintergrunds an so manchem Arbeitsplatz in Deutschland habe ich des öfteren gekündigt. Im Gegensatz dazu haben mir im irakischen Kurdistan der Mangel an Eigenverantwortung und an kreativen Gestaltungsmöglichkeiten sehr gefehlt.
Sei es im Bereich der Entwicklung, Kommunikation, Planung oder Führung – Personalabteilung und Führungskräfte sind für die erfolgreiche Unternehmensführung wesentlich und ihre Sensibilität ist gerade im internationalen Kontext gefordert. Die Berücksichtigung von verschiedenen kulturellen Werten im Unternehmen ist eine große Aufgabe. Die im eigenen Land bewährten Führungsstile und -methoden lassen sich nicht überall und auf jeden Mitarbeiter mit gleichem Erfolg übertragen. Ein Verständnis für die kulturelle Abhängigkeit von Führung hilft Managern und Personalabteilungen, interkulturelle Probleme zu vermindern und effektiver zusammenzuarbeiten.
Fazit:
Über den ganzen Globus verteilt treffen Menschen unterschiedlicher Kulturen und aus den unterschiedlichsten geistigen und religiösen Traditionen an ihren Arbeitsplätzen aufeinander. Globalisierung als Austausch der Kulturen mit allen Chancen und Risiken findet in der direkten Kommunikation im alltäglichen Leben statt. Auch im multinationalen Unternehmen ist dies der Fall. Zur effizienten Gestaltung der Personalführung spielen Respekt und Wertschätzung für die Kultur aller Mitarbeiter eine wesentliche Rolle. Die aktive Unterstützung von Traditionen und Bräuchen anhand von – beispielsweise – konkreten Änderungen der Arbeitszeitgestaltung schaffen eine Vertrauensbasis, dementsprechend auch erhöhte Produktivität. Globalisierung bedeutet kein einfaches Gleichstellen, sondern ein Nebeneinandereinstellen von Werten.
Zusammenfassung
■ Wirtschaftliche Globalisierung gibt es. Kulturelle Globalisierung noch nicht
■ Kulturelle Werte bestimmen das Handeln, das Denken und das Fühlen eines jeden Einzelnen und bedingen somit Arbeitswerte und Leistung im Arbeitsleben
■ Ein generelles Verständnis für den Zusammenhang zu entwickeln, in dem Arbeitswerte entstehen, ist wichtig für Personalmanager in multinationalen Unternehmen
■ Zur effizienten Gestaltung der Personalführung spielen Respekt und Wertschätzung für die Kultur des Mitarbeiters eine wichtige Rolle
Autor: Sham Jaff
M. A. Internationale Wirtschaft | Freie Journalistin |
Bloggerin über Innovationsaustausch zwischen Kulturen
M.A. Internationale Wirtschaft mit Fokus Unternehmensentwicklung im globalen Kontext, freie Journalistin und Bloggerin über Innovationsaustausch zwischen
Kulturen
Quelle / Text / Lizenz
Der Beitrag „Welche Rolle spielen kulturelle Werte im Personalwesen“ wurde im Buch: „HR Innovation: Gemeinsam Unternehmenskultur umdenken“ veröffentlicht und ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
Das mit dem Ramadan ist ein interessanter Punkt! Ich hab das selbst mitbekommen, weil in meiner Familie gefastet wird (ich nicht). Soll der Arbeitsgeber jetzt dafür Verständnis zeigen & Rücksicht nehmen für weniger Produktivität/Schlechtere Laune/Überpünktlich Arbeit beenden… ich weiß es nicht, kann mich noch nicht ganz entscheiden… Das sind ja nicht nur ein paar Tage, sondern ein ganzer MONAT