3D-Anatomie in der medizinischen Ausbildung

Gastbeitrag

3D-Anatomie in der medizinischen Ausbildung: Ein Weg für mehr Inklusion und bessere medizinische Versorgung

Im Laufe der letzten Jahre ist mir klar geworden, dass technologischer, medizinischer und sozialer Fortschritt Hand in Hand gehen. Die gesellschaftlichen Fortschritte, die wir im 20. und 21. Jahrhundert gemacht haben, haben die Rechte und die Repräsentation von People of Color gestärkt und zu sichtbaren Veränderungen in Film und Fernsehen und auch der Politik geführt. Doch die notwendige Entwicklung ist in diesen und vielen anderen Bereichen längst nicht abgeschlossen. Wenn ich gefragt werde, wo die Repräsentation von Frauen und People of Color besonders aus der Zeit fällt, ist meine Antwort: In der medizinischen Ausbildung. Heutzutage sind Medizinstudierende, Dozierende und ärztliches Personal trotz vieler gesellschaftlicher Fortschritte weiterhin mit Materialien, Texten sowie Lehrplattformen und Technologien konfrontiert, die auf größtenteils jahrhundertealten, weißen und männlichen Modellen basieren. Als ein global führendes Unternehmen für medizinische Ausbildung und klinische Lösungen haben wir daher beschlossen, dass es an der Zeit ist, die Lücken zu schließen, um ein integrativeres Gesundheitssystem für alle zu ermöglichen. Dies hat praktische Auswirkungen auf Ausbildung, Gesundheitsversorgung und den medizinischen Fortschritt – insbesondere für People of Color.

Viele Studien belegen das Problem: Eine Studie aus dem Jahr 2006 zeigt, dass der sogenannte schwarze Hautkrebs (Malignes Malom) bei People of Color häufig nicht oder zu spät diagnostiziert wird. Daher ist das Risiko, an der Krankheit zu sterben, doppelt bis dreifach höher als bei Menschen mit heller Hautfarbe. Bei Borreliose-Patient*innen, so eine aktuelle Studie, weisen 34% der Patient*innen of Color neurologische Symptome auf, verglichen mit nur 9% der hellhäutigen Patient*innen.

Die negativen Auswirkungen der Unterrepräsentation sind eindeutig und alarmierend. Es ist zwingend notwendig, ein viel stärkeres Augenmerk auf Inklusion in der medizinischen Versorgung und Ausbildung zu legen. 2018 hat eine amerikanische Studie in der renommierten Zeitschrift Journal of Medical Education and Curricular Development Abbildungen in allgemeinmedizinischen Texten unter Gesichtspunkten der Diversität untersucht. Das schockierende Ergebnis war, dass nur 5% der Abbildungen dunkle Hauttöne enthielten. Die Medizin hat über Jahrhunderte hinweg ein helles, männliches und europäisches Modell für die Lehre übernommen und dieser Tatsache wurde lange wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Die gute Nachricht ist, dass sich an diesem Umstand etwas ändert. Es hat ein Prozess eingesetzt, in dem Lehrmaterialien kritisch reflektiert werden, um die Vielfalt der Gesellschaft besser abzubilden und den sogenannten „Unconscious Bias“ in der Medizin für zünftige Generationen zu bekämpfen. Nicht zuletzt tragen auch die Digitalisierung der medizinischen Ausbildungen und technologische Fortschritte zu dieser Entwicklung bei.

Anatomische 3D-Modelle haben während der Covid-19 Pandemie einen Boom erlebt. 3D-Learning ist nun ein wichtiger Bestandteil in der Ausbildung medizinischer Fachkräfte. Als einer der größten Anbieter medizinischer Lehrangebote und Lernplattformen, ist es ein wichtiges Anliegen von Elsevier, die neuen Möglichkeiten des technologischen Fortschritts in der 3D-Animation für mehr Diversität und Inklusion in der Lehre zu nutzen. Beim Blick auf die bestehenden anatomischen 3D-Modelle vor einigen Jahren haben wir festgestellt, dass sich dringend etwas ändern muss. Nordeuropäische Körper und Gesichtsmerkmale waren stark überrepräsentiert, weil der Großteil des vorhandenen anthologischen Materials auf dieser Art von Körper basierte.

 

Jan Herzhoff President Global Health Markets; Elsevier

Heute kann ich mit Stolz sagen, dass Complete Anatomy 2023, die jüngste Version von Elseviers 3D-Anatomie-Plattform, als weltweit erstes umfassendes 3D-Modell der menschlichen Anatomie viele verschiedene Hautfarben und Gesichtsmerkmale umfasst. Complete Anatomy hat 3,4 Millionen Nutzer*innen, wurde schon 20 Millionen Mal heruntergeladen und wird von mehr als 500 wissenschaftlichen Institutionen verwendet. Angesichts dieser Reichweite sehen wir uns in der Verantwortung etwas zu tun. Bereits letztes Jahr haben wir das weltweit erste weibliche 3D-Anatomie-Modell eingeführt. Es hat also bis 2022 gedauert, bis Medizinstudierende nicht mehr mit rein männlichen Modellen lernten. Mit der neuesten Version unserer Plattform kann nun neben den männlichen und weiblichen Modellen auch aus einer breiten Palette von Hauttönen und Gesichtsmerkmalen gewählt werden, um die Lernenden selbst sowie ihre späteren Patient*innen besser zu repräsentieren. Das leistet einen Beitrag für eine bessere Gesundheitsversorgung und genauere Diagnosen – besonders für People of Color.

Indem wir die menschliche Vielfalt besser darstellen, wollen wir zwei Dinge erreichen: Jeder Mensch, sowohl die Mediziner*innen als auch die Patient*innen, soll sich in der anatomischen Lehre repräsentiert fühlen. Außerdem hoffen wir, dass Ärzt*innen unterbewusste Vorurteile aktiv hinterfragen, indem wir auf diese Sachverhalte aufmerksam machen.

Die neuen Funktionen von Complete Anatomy sind Teil einer Entwicklung, die wir als Unternehmen durchlaufen. Wir sind bestrebt, unsere Inhalte für alle zugänglich zu machen und wir setzen uns für notwendige Veränderung in der Branche ein. Es ist wichtig, dass führende Unternehmen wie Elsevier ihre Produkte weiterentwickeln, um technologisch fortschrittlich zu bleiben und innovativ zu sein. Mit diesen Innovationen wollen wir aber auch zu gesellschaftlichem Fortschritt beitragen und alle Menschen repräsentieren und einbeziehen.

 

Über den Autor:

Jan Herzhoff ist Präsident der Geschäfte des globalen Gesundheitswesens von Elsevier. Diese liefern Lösungen zur Informationsanalyse für Krankenhaussysteme und akademische Einrichtungen. Im Jahr 2012 kam Jan zu RELX, der Unternehmensgruppe, zu der Elsevier gehört. Er verfügt über ein breites Spektrum an Geschäftserfahrungen im Gesundheitswesen in verschiedenen Sektoren und war in verschiedenen Positionen bei Elsevier tätig, zuletzt als Managing Director für APAC Health in Singapur mit Schwerpunkt auf wichtigen Wachstumsmärkten wie China, Indien und Japan. ­Zuvor war er General Manager des internationalen Bildungsgeschäfts von Elsevier in London, wo er durch wichtige Produkteinführungen und Akquisitionen maßgeblich an der Umwandlung von Printmedien zu elektronischen Produkten beteiligt war. Bevor er zu RELX kam, war Jan als Engagement Manager bei McKinsey & Company in München tätig. Er hat einen PhD und einen Master in Informationssystemen von der London School of Economics sowie einen Master in Finanzen und Rechnungswesen von der Universität Bayreuth.

 

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