Digitaler Arbeitsplatz: Revolution, Evolution oder Bedrohung?

Der digitale Wandel stellt tradierte Muster der Arbeitswelt auf den Kopf. Seit einigen Jahren geistert dafür ein Begriff durch Medien, Konferenzen und Vorstandsetagen: „New Work“. Dieser Ansatz gilt als Antwort auf die Frage, wie Arbeit in Zukunft aussehen kann. Dahinter verbirgt sich aber auch die Überzeugung, dass der klassische „Nine to five“-Arbeitstag ebenso der Vergangenheit angehört wie Manager, die sich hinter Türen und Vorstandsdamen verschanzen, oder eine Firmenstruktur, in der die eine Abteilung im Organigramm nicht weiß, an was die andere arbeitet.

Auch der lange gepflegten Anwesenheitskultur erteilt der „New Work“-Gedanke eine klare Absage. Die Covid-19-Pandemie hat Letzteres sogar deutlich vorangetrieben: Plötzlich stellten gezwungenermaßen sogar die Führungskräfte Präsenzarbeit in Frage, die sich früher vehement dagegen gewehrt haben. Zuletzt startete sogar eine politische Diskussion rund um das Recht auf Homeoffice. Das zeigt mehr denn je, wie sehr die ehemals verpönte Heimarbeit im Zuge der Pandemie salonfähig geworden ist.

Natürlich ist ein digitaler Arbeitsplatz weit mehr als Homeoffice. Es geht vielmehr darum, wie Digitalisierung Arbeitsbereiche und -prozesse effizienter macht, monotone Aufgaben übernimmt und dem Menschen mehr Freiraum für kreative, anspruchsvolle oder strategische Tätigkeiten gibt. Wie das aussehen kann, hat die Bundesregierung in Gestalt von Andrea Nahles bereits im Jahr 2015 in ihrem „Grünbuch“ Arbeiten 4.0 auf den Punkt gebracht: „Sitzt der LKW-Fahrer von heute auf seiner Route morgen zwar nicht am Steuer, aber als Pilot in seinem Führerhaus und überwacht die elektronischen Instrumente? Hat er übermorgen seinen Platz in einem Logistikzentrum, von wo aus er mehrere selbstfahrende LKW aus der Ferne kontrolliert? Oder kann er das vielleicht von zu Hause aus erledigen? Hat er dabei mehr Freizeit als früher, kann er gesünder leben, seine Familie häufiger sehen, sich die Arbeit mit seiner Frau teilen?“ So weit sind wir zwar noch nicht, aber schon heute sind viele Arbeitsbereiche ohne Digitalisierung und schwacher Künstlicher Intelligenz nicht mehr denkbar.

„Für mich ist Digitalisierung keinesfalls eine Bedrohung, auch längst keine Revolution mehr, sondern eine natürliche Evolution – mit der einen oder anderen Herausforderung.“

Kai Grunwitz

Mit der Digitalisierung geht dabei eine starke Vernetzung einher, die die Arbeit ortsunabhängiger macht. Produktionsmitarbeiter beispielsweise können mithilfe eines Laptops und Internet-Zugang die Produktion überwachen und steuern, egal wo sie sich aufhalten. Die Anwesenheit des Menschen in den Hallen ist lediglich für Wartungen und Reparaturen, die aus der Routine fallen und damit nicht in der Programmierung der Maschinen hinterlegt sind, unbedingt nötig. Die Menschen bedienen die Roboter, arbeiten mit ihnen Hand in Hand, reagieren flexibel auf Kundenwünsche und Trends und entwickeln effizientere Prozesse.

Gleichzeitig hat uns Corona eindrucksvoll den Spiegel vorgehalten, was falsch läuft. Der digitale Unterricht ist das derzeit wohl am meisten diskutierte Beispiel für eine fehlgeschlagene Strategie. Es gibt den Virtual Classroom, der mit digitaler Tafeloberfläche, Video-Übertragung und vielfältigen Teilhabemöglichkeiten den Präsenzunterricht ersetzen kann – seinen Weg in die Schulen hat er allerdings nicht wirklich gefunden.

Fakt ist, digitale Arbeitsplätze setzen eine moderne und intelligente Infrastruktur mit übergreifenden Daten-Plattformen und hohen Sicherheitsvorkehrungen voraus – gerade wenn personenbezogene Daten verarbeitet werden. Und sie erfordern Manager, die Empathie für die Ängste der Mitarbeiter zeigen, lebenslanges Lernen fördern und den traditionellen Führungsstil hinterfragen. Es wäre falsch, die Veränderung hin zum digitalen Arbeitsplatz ausschließlich durch eine rosarote Brille zu betrachten und mögliche Bedrohungen zu ignorieren. Wo Maschinen Aufgaben abnehmen, werden ganze Berufsbilder überflüssig – gleichzeitig entstehen zahlreiche neue Aufgabengebiete.

Deshalb müssen unbedingt die erforderlichen Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen von Politik und Wirtschaft geschaffen werden. Digitalisierung bedeutet aber auch „New Leadership“. Es ist einfach nicht mehr sinnvoll, von oben Aufgaben zu verteilen und damit das stark hierarchische Modell, bei dem alle Entscheidungsgewalt bei einer Person liegt, zu leben. Es braucht vielmehr ein Miteinander, ein agiles Arbeiten, ein Team mit zur jeweiligen Aufgabe passenden Expertisen und Eigenschaften.

Der digitale Arbeitsplatz ist bereits heute Realität, obgleich die Potenziale der digitalen Technologien noch längst nicht ausgeschöpft sind. Für mich ist Digitalisierung keinesfalls eine Bedrohung, auch längst keine Revolution mehr, sondern eine natürliche Evolution – mit der einen oder anderen Herausforderung.

Autor:

Kai Grunwitz, Geschäftsführer der NTT Ltd. in Deutschland

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