Angst ist ein schlechter Berater
Autor: Kai Grunwitz, CEO von NTT Ltd. Germany
Die Bedienungsanleitung einer Waschmaschine im Stil von Shakespeare formulieren. Java-Code in Sekundenschnelle in Python umschreiben. Den Inhalt eines 1.000 Seiten dicken Buches auf einer Seite zusammenfassen: Für ChatGPT alles kein Problem. Der Textgenerator, der in der neuesten Version auch Bildeingaben verarbeiten kann und damit einen wichtigen Schritt zu einer Artificial General Intelligence – also einer Künstlichen Intelligenz, die auch Aufgaben lösen kann, für die sie nicht trainiert wurde – gemacht hat, setzt selbst in einer so Hype-verliebten Branche wie der IT völlig neue Maßstäbe. Je nach Blickwinkel ist ChatGPT entweder das Werkzeug, das Gesellschaft und Wirtschaft in völlig neue Sphären werfen wird. Andere sehen vor allem die Risiken.
Wird die KI das menschliche Bewusstsein ersetzen? Natürlich nicht. Kann sie es auf der Basis menschlicher Äußerungen täuschend echt simulieren? Ja. Deshalb brauchen wir Regeln für den Umgang, etwas mehr Pragmatismus würden uns jedoch nicht schaden. Was ich damit meine? Derzeit streben zwei amerikanische Konzerne nach der Vorherrschaft im KI-Markt. In der einen Ecke steht Microsoft, die ChatGPT in Bing integriert hat und damit endlich Google, dem unangefochtenen Marktführer bei Suchmaschinen, wertvolle Marktanteile abnehmen will. In der anderen Ecke natürlich Google, das bereits angekündigt hat, eine ähnliche Art von KI zur Verfügung zu stellen, die künftig unter dem Namen „Bard“ vermarktet werden soll.
Die USA und China dominieren den Markt für große KI-Modelle, für Europa bleibt da wenig übrig. Angesichts dieser Entwicklung sorgen sich Experten, dass die deutsche Digitalwirtschaft mal wieder abgehängt wird. Denn hierzulande gibt es zwar viel Know-how, etwa bei der KI-Forschung. Das Fehlen der dringend notwendigen Rechenkapazitäten wie auch deutlich zu kleine Budgets verweisen den Standort jedoch in seine Grenzen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die EU, die bereits seit zwei Jahren am Artificial Intelligence Act bastelt, nun hastig ihr Regelwerk für Künstliche Intelligenz an die neue Lage anpasst. Der Super-Bot könnte sogar praktisch verboten werden – etwa dann, wenn das Programm als Hochrisiko-Anwendung eingestuft wird und damit dieselben strengen Auflagen wie der öffentliche Dienst, die Strafverfolgung oder Gerichtsverfahren erfüllen muss. Diese Auflagen schließen Konformitätsbewertungen, technische Dokumentationen, Überwachung sowie Aufsichtsmaßnahmen ein und hemmen damit unnötigerweise die Kreativität der Anbieter. Eine Überregulierung wird dem Standort Europa auf jeden Fall schaden.
„Fakt ist, der Wandel braucht Gestalter. Gestalter wiederum brauchen Freiräume, um zu experimentieren und dürfen nicht durch Übernormierung gefesselt werden.“
Kai Grunwitz
Chancen wahrnehmen – jetzt!
Dabei bietet sich jetzt eine einmalige Chance: Wir können nämlich dafür sorgen, dass unsere KI-Modelle europäische Werte und Qualitätsstandards in Bezug auf Datenschutz, Transparenz und Parteilichkeit widerspiegeln. So haben wir auch die Möglichkeit, das Vertrauen in die Technik zu stärken und das beunruhigende Black-Box-Image der Systeme zumindest etwas abzuschwächen. Darüber hinaus geht es bei Weitem nicht darum, die beste Suchmaschine zu entwickeln, sondern sinnvolle KI-Anwendungen für Unternehmen auf den Markt zu bringen.
Initiativen wie LEAM und Ökosysteme wie KI Park sind ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Denn hinter einer Technologie wie ChatGPT steckt nicht nur eine singuläre App – sondern eine Infrastruktur für generative KI, die sich über APIs in Unternehmensprozesse oder Produkte einbinden lässt. Das Einsatzspektrum ist auch keineswegs auf einzelne Branchen oder Aufgabenbereiche beschränkt, vielmehr wird sich das komplette Wirtschaftsleben verändern.
Fakt ist, der Wandel braucht Gestalter. Gestalter wiederum brauchen Freiräume, um zu experimentieren und dürfen nicht durch Übernormierung gefesselt werden. Dann schaffen wir es vielleicht auch, den Innovationsstandort Deutschland zu neuem Leben zu erwecken.