Die Chancen aufgreifen
Digitalisierungsdynamiken und -strategien in Familienunternehmen
von Tom A. Rüsen und Anne K. Heider
Unter dem Begriff „Digitalisierung im Mittelstand“ findet aktuell eine Diskussion statt, die auf die entstehenden Chancen- und Risikopotenziale durch den Einsatz und die Vernetzung neuer Technologien und computerbasierter Kommunikationssysteme in mittelständischen Unternehmen hinweist. Dabei wird oftmals kolportiert, dass deutsche Familienunternehmen in ihrer führenden Position auf dem Weltmarkt bedroht sind, da notwendige Veränderungen in den Unternehmensprozessen und Geschäftsmodellstrategien nicht oder nicht konsequent genug angegangen werden. Unsere Beobachtungen zeigen, dass der Blick auf Familienunternehmen und ihr Umgang mit Digitalisierungsdynamiken zu differenzieren ist.(1)
So gibt es einerseits Unternehmen, die als Vorreiter beim Aufgreifen der Chancen durch die Digitalisierung zu bezeichnen sind. Gleichzeitig lässt sich eine nicht zu unterschätzende Gruppe von Familienunternehmen beobachten, die offenbar nicht willens oder in der Lage sind, sich adäquat auf die durch die Digitalisierungsdynamik sich abzeichnenden Umbrüche vorzubereiten.(2)
Im Folgenden wird eine Analyse des Familien-Faktors des Familienunternehmens und die dabei maßgebliche Unternehmerfamilie(3) als wesentlicher Einflussfaktor auf die Digitalisierungsdynamik untersucht. Zudem werden Ergebnisse aktueller Studien des WIFU zum Einfluss der Unternehmerfamilie auf die Digitalisierung von Familienunternehmen mit einbezogen und die Frage beantwortet, wo deutsche Familienunternehmen bei dem Thema Digitalisierung aktuell stehen.(4)
Unter digitalen Technologien werden solche verstanden, die Unternehmen dabei unterstützen, Prozesse effizienter sowie Produkte und Dienstleistungen kundenfreundlicher zu gestalten oder auch das Geschäftsmodell zu verändern. Durch deren Einsatz können bisherige Arbeitsweisen und organisatorische Abläufe wesentlich verändert und effizienter gestaltet werden. Digitalisierte Produkte oder Prozesse stellen somit den Ausgangspunkt in der digitalen Transformation eines Unternehmens dar und führen in vielen Unternehmen zu einem Überdenken der innerbetrieblichen Abläufe, der Speicherung von Unternehmensdaten sowie der Nutzung von Anwendungssystemen.
Unternehmerfamilie und digitale Transformation in Familienunternehmen
Der digitale Wandel in Familienunternehmen ist jedoch nicht ausschließlich durch die Einwirkung von digitalen Trends und Technologien von der Unternehmensumwelt geprägt. Hier ist der Einfluss aus dem Kreis der verwandtschaftlich verbundenen Eigentümer maßgeblich.(5) Der jeweils vorhandene Familien-Faktor(6)des Familienunternehmens ist hier eine wesentliche Einflussgröße für die Digitalisierungsdynamik. In Bezug auf das Thema Digitalisierung lässt er sich als Gesamtheit der individuellen Meinungen und Haltungen zur Digitalisierung sowie der entsprechenden Maßnahmen zur Kompetenzgewinnung innerhalb der Unternehmerfamilie beschreiben.
Unsere Untersuchungen zeigen, dass bezüglich des Umgangs mit Digitalisierungsdynamiken innerhalb der Unternehmerfamilie sehr unterschiedliche Auffassungen existieren. Oftmals stehen sich Vertreter der Senior- und der Junior-Generation oder auch von operativen und nicht operativ tätigen Gesellschaftern unversöhnlich gegenüber. Insbesondere über die Bereitschaft, Investitionen im Kontext von Digitalisierungsstrategien zu tätigen, nimmt die Unternehmerfamilie Einfluss auf die Dynamik ihres Unternehmens. Sind entsprechende Strategien definiert, hängt vieles davon ab, inwieweit organisatorische, strukturelle und personelle Veränderungen umgesetzt werden können und ob damit gegebenenfalls notwendige fundamentale Veränderungen akzeptiert werden.
Dabei zeigt sich, dass der Einfluss der Unternehmerfamilie von zwei Faktoren abhängt: von der digitalen Offenheit sowie der digitalen Bereitschaft der Unternehmerfamilie. Unter digitaler Offenheit (digital openness(7)) wird im Folgenden…