Sorgfaltspflicht: Ein Thema für die Chefetage

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist in Deutschland bereits beschlossene Sache. Auch die EU arbeitet an einer ähnlichen Gesetzgebung. Wie können Unternehmen vorgehen, um solche Nachhaltigkeits-Regulatorik in die Praxis umzusetzen? Die Redaktion im Gespräch mit Compliance-Experte Magnus Piotrowski, Manager, Regulatory & Compliance (Europa) bei Assent zum aktuellen Stand und was Unternehmen beachten müssen. (Teil I)

Herr Piotrowski, ab wann gilt das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und welche Unternehmen sind davon betroffen?

Veröffentlicht wurde das deutsche LkSG im Juli 2021. Es tritt nun in zwei Stufen in Kraft, die erste bereits ab Januar 2023. In dieser ersten Stufe gilt das LkSG für Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung oder ihren satzungsmäßigen Sitz in Deutschland haben und mehr als 3.000 Mitarbeitende in Deutschland oder mit einem deutschen Vertrag im Ausland beschäftigen.

Ab Januar 2024 wird das LkSG dann ausgeweitet und gilt für Unternehmen mit Hauptsitz oder Niederlassungen in Deutschland mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden. Inzwischen hat auch die EU-Kommission einen Vorschlag für ein ähnliches, EU-weites Gesetz vorgelegt.

Ein Anlass für das Gesetz war, dass der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) von 2016 nicht die gewünschte Wirkung hatte. Dieser legte fest, dass die Mehrheit der mittleren und großen deutschen Unternehmen ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten bis zum Jahr 2020 auf freiwilliger Basis nachkommen sollten.

Kurz gesagt, worum geht bei den Gesetzen zur Lieferketten-Sorgfaltspflicht?

Das Ziel ist, ein nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Verhalten in allen globalen Wertschöpfungsketten zu fördern. Das zielt insbesondere auf Umweltschutz und Menschenrechte ab.

Welche Standards müssen Unternehmen dabei einhalten?

Das deutsche LkSG beispielsweise verpflichtet in Deutschland tätige Unternehmen dazu, eine ganze Reihe an sogenannten „geschützten Rechtspositionen“ einzuhalten. Diese Standards sind in den Leitprinzipien der Vereinten Nationen (UN) für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011 und in den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen festgelegt. Beispiele dafür sind das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, der Schutz des Trinkwassers oder der Umgang mit Schadstoffen. Beim Vorstoß der EU-Kommission spielt auch das 1,5°-Ziel zur Erderwärmung eine wichtige Rolle.


„Durch die neue Gesetzgebung, aber auch durch immer stärkere gesellschaftliche Erwartungen sind wir jetzt an einem Punkt, wo ESG ein Thema mit höchster Priorität ist.“

Magnus Piotrowski

Unser Interviewpartner:


Magnus Piotrowski ist Manager, Regulatory & Compliance (Europa) bei Assent Inc. (Assent). Die Cloud-basierte Software des Anbieters unterstützt Unternehmen dabei, ihre Lieferkettendaten einzusetzen, um Nachhaltigkeits-Anforderungen aus globalen Vorschriften zu erfüllen.

https://assentcompliance.de


Das ist sicher mit teils großen Herausforderungen und Schwierigkeiten verbunden, oder?

Die größten Herausforderungen liegen darin, die nötigen Einblicke in die Lieferkette zu bekommen, zu sammeln und zu protokollieren. Dabei müssen Unternehmen wissen, was sie auf welche Weise aufzeichnen und nachweisen können müssen. Außerdem dürfte oft zu vielen Zulieferern zweiten und dritten Grades bislang noch kein Einblick vorhanden sein.

Eine weitere offensichtliche Herausforderung ist generell der kurze Zeitrahmen. Das deutsche LkSG wurde im Juli 2021 veröffentlicht und gilt wie gesagt bereits ab nächstem Januar 2023. Davon abgesehen stehen viele Unternehmen vor der Frage, woher sie die nötige Kompetenz nehmen sollen und welche Abteilung am Ende überhaupt zuständig ist. Die Aufgabe einfach nur an den Einkauf zu übertragen, wird nicht funktionieren. Für viele Unternehmen ist die Thematik Neuland.

Weil es in der Vergangenheit nicht zwingend notwendig war.

Richtig. Es gab zwar Versuche wie den Nationalen Aktionsplan von 2016, doch dieser war freiwillig und hat gezeigt, dass ein verpflichtendes Gesetz nötig ist. Bei der Auswahl von Lieferanten standen bislang immer Punkte wie Qualität, Preis und Lieferfähigkeit im Vordergrund. ESG-Aspekte spielten oft eine eher untergeordnete Rolle oder wurden pauschal mit generellen Vertragsklauseln oder Code of Conducts abgehandelt. Durch die neue Gesetzgebung, aber auch durch immer stärkere gesellschaftliche Erwartungen sind wir jetzt an einem Punkt, wo ESG ein Thema mit höchster Priorität ist. Die Sorgfaltspflicht ist ein Thema für die Chefetagen geworden.


Die Sorgfaltspflicht ist ein Thema für die Chefetagen geworden.“


Mit welchen Nachteilen und Strafen müssen Unternehmen bei Verstößen gegen das LkSG rechnen?

Hier sprechen wir im Wesentlichen von drei Elementen: Bußgelder, ein Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen sowie Gerichtsverfahren.

Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht werden als Ordnungswidrigkeit behandelt und mit Bußgeldern geahndet. Vorab können regelmäßige Zwangsgelder von bis zu 50.000 Euro verhängt werden, um Unternehmen zur Abhilfe zu zwingen.

Möglich Bußgelder bei allgemeinen Verstößen gegen das LkSG berechnen sich am Prozentsatz des gesamten weltweiten Umsatzes des Unternehmens und reichen bis zu 800.000 Euro. Bei einem weltweiten Jahresumsatz von über 400 Millionen Euro kann die Strafe sogar bis zu zwei Prozent dieses Jahresumsatzes betragen.

Unternehmen, die gegen das LkSG verstoßen, können außerdem für einen Zeitraum von maximal drei Jahren von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.

Auch können bei Verstößen betroffene Personen, NGOs und Gewerkschaften rechtliche Schritte gegen das Unternehmen einleiten. Was das Gesetz jedoch nicht umfasst, sind zivilrechtliche Haftungsansprüche für im Ausland entstandene Schäden.

Ergeben sich durch die neuen Regelungen eigentlich auch Wettbewerbsvorteile für Unternehmen?

Wettbewerbsvorteile können sich dadurch ergeben, dass immer mehr Verbraucher großen Wert auf Nachhaltigkeit legen. Auch auf Vorstandsetagen und bei Investoren wird ESG immer mehr zu einem entscheidenden Kriterium für Entscheidungen. Viele Unternehmen haben bei der Auswahl ihrer Partner Anforderungen an deren ESG-Compliance. Außerdem glaube ich, dass nachhaltige Lieferketten in der Regel auch widerstandsfähiger und zuverlässiger sind und dass sich die Produktqualität dadurch erhöht.

Herr Piotrowski, vielen Dank für das Interview.

Lieferketten-Sorgfaltspflichten erfolgreich umsetzen

Lesen Sie, wie Unternehmen jetzt reagieren sollten, welche Hilfsmittel ihnen dabei zur Verfügung stehen und wie die Zukunft dieser Tools aussehen könnte.

Zum zweiten Teil des Gesprächs mit Magnus Piotrowski gelangen Sie hier.

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