Einfluss der EU-Taxonomie im Kontext nachhaltiger Investments

Frau Prof. Dr. Anja Kern, Stiftungsprofessorin für Handel und Führung an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Mosbach, erklärt im Interview mit der Redaktion, was geschehen müsste, damit die Regeln der EU-Taxonomie eine Aussicht auf globale Anwendung hätten.

Frau Prof. Dr. Kern, wozu dient die EU-Taxonomie-Verordnung und welche Bedeutung hat sie für welche Unternehmen?

Prof. Dr. Anja Kern, Stiftungsprofessorin für Handel und Führung, ist für globale Standards bei Kapitalanlagen.

Die EU-Taxonomie Verordnung ist ein Klassifikationssystem, das sämtliche Aktivitäten in nachhaltig, i.e. „grün“ bzw. nicht-nachhaltig, i.e. „braun“ einstuft. Auf ihrer Basis soll es möglich sein den grünen Anteil an Umsätzen, Aufwänden und Investitionen anzuzeigen. Finanzmarktakteure wie Asset Manager und Versicherer, aber auch große Unternehmen, die unter die bisherige Direktive zur Nachhaltigkeitsberichterstattung fallen, müssen diese Informationen ab nächsten Jahr offenlegen.

Die Taxonomie macht so Nachhaltigkeit messbar. Unternehmen werden nicht per se in grün oder braun eingeteilt, sondern es wird der Anteil grüner Aktivitäten gemessen. Diese Transparenz soll dazu führen, dass Investitionen verstärkt in nachhaltige Aktivitäten fließen. Anreize durch den Kapitalmarkt führen dazu, dass sich der Anteil nachhaltiger Aktivitäten erhöht.

Investoren können mit einem Blick auf Umsatz, Aufwände und Investitionen wissen, wie groß der Anteil der Nachhaltigkeit ist. Dies soll dem Green-Washing vorbeugen.

Wie können sich Unternehmen und Finanzberater diesen Herausforderungen stellen?

Unternehmen müssen sämtliche Produkte und Dienstleistungen auf Basis der Taxonomie in grün bzw. braun klassifizieren. Darüber hinaus müssen sie die im Leistungserstellungsprozess anfallenden Aufwände und die Investitionen klassifizieren. Das Klassifizierungssystem ist komplex und bisher wurde erst ein Teil der technischen Bewertungskriterien veröffentlicht. Das bedeutet, dass zur Erstellung einer Klassifizierung ein hohes Maß an Expertenwissen notwendig ist. Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter schulen und/oder auf externe Beratung zurückgreifen. Wenn die Klassifizierung geprüft werden soll, brauchen auch die Prüfer entsprechendes Wissen.

Finanzmarktakteure müssen ihre Portfolios dementsprechend klassifizieren. Finanzberater können durch die Taxonomie die Nachhaltigkeit der Unternehmen messen und damit für Kunden geeignete Investitionen identifizieren.

Wie wird die Klassifizierung konkret durchgeführt?

Die Klassifizierung erfolgt durch vier Kriterien:

Das erste Kriterium überprüft, ob die wirtschaftliche Aktivität einen positiven Beitrag zu einem der folgenden sechs EU-Umweltziele leistet:

1Klimaschutz, z.B. durch CO2-Emissionsreduktion
2Anpassung an den Klimawandel, z.B. durch Verlegen einer küstennahen Produktionsstätte ins Landesinnere
3Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasserressourcen, z.B. durch Bau einer Kläranlage
4Wandel zur Kreislaufwirtschaft, z.B. Verwendungsdauer der Produkte erhöhen
5Vermeidung und Verminderung der Verschmutzung, z.B. Vermeidung von Schadstoffemissionen (bei denen es sich nicht um Treibhausgase handelt) in Luft, Wasser und Boden
6Schutz von Biodiversität und Ökosystemen, z.B. durch Einsatz nachhaltiger landwirtschaftlicher Praktiken

Das zweite Kriterium stellt sicher, dass die Aktivitäten keines der oben genannten Umweltziele negativ beeinträchtigt.

Das dritte Kriterium untersucht, ob Mindeststandards in Bezug auf soziale und Governance-Aspekte eingehalten werden.

Das vierte Kriterium enthält quantitative Kriterien und Schwellenwerte, die festlegen, ab wann eine Aktivität „wesentlich“ zu einem Umweltziel beiträgt oder schädlich ist

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Welche Kritikpunkte machen Sie an der Verordnung aus?

Mit meinem Co-Autor Peter Jung haben wir fünf Prinzipien formuliert, die ein Nachhaltigkeitsstandard erfüllen soll,
um verhaltenswirksam und global durchsetzbar zu sein:

  • Darstellung der externen Effekte als monetäre Größen
  • Transformation der Geschäftsmodelle durch Nachfrage der Endkunden
  • Fokus auf Klima
  • Globaler Standard
  • Pragmatische und unternehmensgetriebene Lösung

Diese Prinzipien erfüllt die Taxonomie nicht. Externe Effekte werden nicht monetarisiert und damit gibt es keine direkte Wirkung auf den Endpreis. Die Transformation der Geschäftsmodelle wird vom Kapitalmarkt getrieben und nicht vom Konsum der Endkunden. Die Taxonomie vermischt das Klimaproblem mit anderen Umweltzielen und sozialen Standards.

Wir schlagen einen Klimafokus vor, weil so die höchsten Chancen bestehen für das dringlichste Problem eine globale Lösung zu finden. Nur eine globale Lösung kann die Erde retten. Verordnungen, die nur in der EU gelten, können zu einer Verlagerung der braunen Aktivitäten außerhalb der EU führen. Schließlich plädieren wir dafür, dass ein solcher Standard unter Beteiligung von Unternehmen entwickelt und getestet wird und nicht wie die Taxonomie von Regierungen beschlossen wird ohne praktische Erfahrungen von Unternehmen zu berücksichtigen. Es ist zu befürchten, dass die Taxonomie zu einem bürokratischen Monster wird, das global wenig zum Stoppen des Klimawandels beiträgt.

Was wäre Ihrer Meinung nach besser geeignet, um eine direkte Verhaltenswirksamkeit beim Endkunden zu erzielen?

In einem im April erscheinenden Artikel in der Controlling & Management Review skizziere ich mit Peter und Philipp Jung eine Lösung, die die oben genannten Prinzipien erfüllt.

Waren sollen beim Endkunden einen Preisaufschlag erhalten, eine Art CO2-Gebühr. Die Gebühr wird vom Händler eingesammelt und an den Staat abgeführt. Der kann diese dann zweckgebunden in nachhaltige Projekte investieren.

Zunächst müssen dazu Preisaufschläge pro Warengruppe definiert werden. Die Datenbank ProBas des Umweltbundesamt oder GEMIS des Internationalen Institut für Nachhaltigkeitsanalysen und -strategien enthalten Durchschnittwerte der CO2-Emissionen für Materialien und Warengruppen. So könnte eine Gebühr für jede Warengruppe bestimmt werden.

Wenn Unternehmen nachweisen können, dass Emissionen ihrer Waren über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg unter dem Durchschnittswert liegen, dann erhalten sie einen geringen Aufschlag und haben so einen Wettbewerbsvorteil. In einer Übergangsphase hätten Unternehmen Zeit, sich auf die Gebühr einzustellen.

Die EU will eine Vorreiterrolle im Klimaschutz einnehmen: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass andere ihrem Vorbild folgen und was müsste geschehen, um diese zu verbessern?

Die EU könnte Vorreiter sein, wenn die Regeln pragmatischer wären, sie sich besser mit den einzelnen EU-Ländern und Unternehmen abstimmen würde und vor allem, wenn die Regeln eine Aussicht auf globale Anwendung hätten.

Auch andere Länder sind dabei über Lösungen für den Klimaschutz nachzudenken. Die G20 hat eine Experten-Gruppe ins Leben gerufen, die einen ausschließlich klimafokussierten Reporting Standard, die „Task Force on Climate-related Financial Disclosures“ (TCFD) entwickelt hat.

Großbritannien hat angekündigt, dass dieser Standard ab 2025 zur Pflicht wird. Biden hat die USA innerhalb von Stunden nach seiner Wahl wieder an das Klima-Abkommen von Paris gebunden. Es wird erwartet, dass auch die USA Unternehmen verpflichtet Nachhaltigkeitsinformationen offen zu legen.  Der TCFD-Standard und die vom Sustainability Accounting Standards Board entwickelten Standards könnten hier eine wichtige Rolle spielen.

Prof. Dr. Anja Kern

Sie ist die Inhaberin der von der Dieter Schwarz Stiftung gGmbH und dem Stifterverband geförderten Stiftungsprofessur für Handel und Führung an der
Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Mosbach

https://www.dhbw.de/dhbw-stiftung

https://www.mosbach.dhbw.de

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Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

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