„Wir sind definitiv kein Roboter“

Die TREND-REPORT-Redaktion sprach mit Dr. Christian Jasperneite (Titelbild), CIO von M.M.Warburg & CO  und Jan Kühne (Leiter Digital) über Menschen, Maschinen und den Einfluss künstlicher Intelligenz auf die Finanzbranche.

Herr Dr. Jasperneite, seit Oktober 2017 bieten Sie mit Warburg Navigator eine digitale Vermögensverwaltung an. An wen richtet sich das Angebot?
Dr. Jasperneite: Das Angebot richtet sich an alle, die einerseits erkannt haben, dass Sparen alleine wenig Sinn ergibt, aber andererseits nicht die Entscheidung darüber treffen wollen, wie investiert werden soll. Es gibt gefühlt unendlich viele Aktien, Anleihen und Fonds – da kann man als Privatperson leicht den Überblick verlieren. In vielen Fällen führt das dann dazu, dass man gar nichts macht. Früher wäre das kein großes Problem gewesen, da man ja selbst mit dem Sparbuch ansehnliche Zinsen erwirtschaften konnte. Und das ist jetzt eben vorbei, und zwar vermutlich für die nächsten zehn Jahre.

In welche Anlageformen investieren Sie dabei?
Dr. Jasperneite: Der Navigator investiert derzeit nur in ETFs und aktive Fonds, die wiederum 24 Märkte in allen denkbaren Assetklassen abbilden. In den kommenden Monaten werden wir jedoch unser Angebotsspektrum erweitern und auch Vermögensverwaltungen mit Einzeltiteln anbieten.

Herr Kühne, sind Roboter jetzt die besseren Anlageberater?
Kühne: Der Einsatz von „Robotern“ findet insbesondere bei der Überwachung von Anlagevorgaben Anwendung, weil hier automatisierte Prozesse gegenüber der Kontrolle durch Menschen überlegen sind. Im Kontext digitaler Vermögensverwaltung kommen Algorithmen häufig zur Anwendung, da die Anlagestrategie über das Risikomaß VaR abgebildet wird, deren Einhaltung wiederum mittels quantitativer Verfahren überwacht wird. Bei Warburg Navigator kombinieren wir diese prognosefreien Algorithmen aber mit einem prognosebasierten Ansatz, da wir der Ansicht sind, dass Expertise und jahrzehntelange Erfahrungen von Menschen ein wichtiges Korrektiv sein können. Wir erreichen dies, indem ein prognosefreies Grundmodell durch prognosebasierte Elemente so „gelotst“ wird, dass die Navigator-Portfolios von den fundamentalen Einschätzungen des Asset Managements der Privatbank profitieren. Auch in der Anlageberatung helfen „Roboter“, um Portfolien auf die Verletzung von Anlagerichtlinien hin zu überwachen und entsprechende Signale zu geben. Wir glauben hier aber an einen hybriden Ansatz, der den Berater einschließt, um gemeinsam mit dem Kunden die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Dr. Jasperneite ergänzt: Es gibt immer Sachverhalte, die eine Maschine besser als ein Mensch erledigen kann. Dazu gehört beispielsweise das eben schon erwähnte einhalten von Risikobudgets, denn das ist primär eine mathematische Aufgabe, die intuitiv nur schwer zu lösen ist. Zudem können Kauf- oder Verkaufsprozesse sowie der ständige Abgleich zwischen Kundenportfolios und Musterportfolios zu einem gewissen Grad automatisiert werden. Allerdings ist es mir immer wichtig zu betonen, dass bei uns niemals ein Algorithmus oder eine Maschine unkontrolliert und ungeprüft Transaktionen in Kundenportfolios auslösen kann. Jeden Morgen überprüfen meine Kollegen, ob die Modelle in der Nacht ohne Fehler durchgelaufen sind und plausible Ergebnisse liefern. Wenn Transaktionen vorgeschlagen werden, erfolgt hier eine weitere Plausibilitätsprüfung. Und im Extremfall erlaube ich mir als Chefstratege, auch manuell einzugreifen. Ich nenne ihnen ein Beispiel. Im Januar dieses Jahres waren die Schwankungen und die Korrelationen an den Märkten so gering, dass unser Modell eine weitere, leichte Anhebung der Aktienquote vorschlug. Mathematisch konnte ich diesen Transaktionsvorschlag komplett nachvollziehen. Allerdings waren die Volatilitäten und Korrelationen fast schon aberwitzig gering, so dass nach menschlichem Ermessen eine Korrektur mehr als in der Luft lag. Der Vola-Crash im Februar hat mich dann mit meinem Veto bestätigt.

Herr Kühne, Ihr Angebot haben Sie zusammen mit einem FinTech-Unternhemen auf den Markt gebracht. Welche Erfahrungen konnten Sie dabei sammeln?

Jan Kühne beschreibt die erfolgreiche Zusammenarbeit mit einem FinTech.

Kühne: Unser Angebot Warburg Navigator wird gemeinsam mit dem Berliner FinTech Elinvar GmbH umgesetzt. Elinvar steuert die Technologiekompetenz bei, wir bringen unsere Asset-Management-Kompetenz ein. Für den Kunden bedeutet das, dass er uns als Vermögensverwalter mandatiert und mit der Umsetzung seiner Anlagestrategie betraut. Die Technologie, die die digitale Umsetzung wie Online-Vertragsabschluss oder Kundenportal ermöglicht, kommt von Elinvar. Die Lösung, so wie sie heute am Markt ist, wurde dabei nicht von uns als Werkvertrag in Auftrag gegeben, sondern gemeinschaftlich entwickelt. Dinge wie „Design Thinking“, „agile Entwicklung“, „Minimal Viable Product“ waren hierbei selbstverständlicher Teil der Projektarbeit. Die „Agilität“ konnten wir dabei nicht unsern Mitstreitern von Elinvar überlassen, sondern musste von uns im gleichen Maße eingebracht werden. Zugegeben, eine sehr willkommene Lernkurve.

Herr Dr. Jasperneite, wieviel Mensch und wieviel Warburg steckt dann noch im Navigator?
Dr. Jasperneite: Im Warburg Navigator steckt extrem viel Mensch, auch wenn Algorithmen ihre Berechtigung haben. Aber unsere Algorithmen sind nicht von marktfernen Physikern und Mathematikern programmiert worden, sondern von Kollegen, die seit vielen Jahren für die Anlage großer Summen Verantwortung tragen und seit dem Platzen der Internetblase im Jahr 2000 selbst alle Krisen und Boomphasen als Investor durchlebt haben. Zudem nutzen wir den Algorithmus wie schon erwähnt primär, um Risikobudgets einzuhalten und für eine besonders effiziente Streuung von Risiken zu sorgen. Ebenso wichtig sind aber unsere taktischen Einschätzungen und Überlegungen, die ebenfalls direkt in die Portfoliokonstruktion einfließen und hier einen Mehrwert gegenüber reinen Anlagerobotern liefern. Das ist auch der Grund, warum wir uns ungern als Robo-Advisor bezeichnen lassen, denn wir sind definitiv kein Roboter.

Herr Kühne, die Skepsis der Kunden hinschlich digitaler Produkte, speziell auch im Hinblick auf Datenschutz, ist oft groß. Gerade für Vermögensverwalter ist Vertrauen jedoch von entscheidender Bedeutung. Wie lässt sich dieses in einer digitalen Welt aufbauen?
Kühne: Vertrauensaufbau erfolgt heute durch Nutzung. Die erfolgreichen Internetunternehmen haben dies vorgemacht: Verständliche Benutzerführung, verlässliche Prozesse, wiederholte Anwendung, alltäglicher Gebrauch – nur so fasst der Nutzer Vertrauen. Für Banken im Bereich der digitalen Vermögensverwaltung bedeutet dies, dass sich ihre Angebote an der User Experience messen lassen müssen, die der Nutzer aus anderen Bereichen kennt und erwartet. Die Sicherheit der Daten und der Schutz vor fremdem Zugriff ist eine weitere Grundvoraussetzung. Sicherlich genießen Banken hier einen gewissen Vertrauensvorschuss, da dies eine der Grundtugenden ist – Stichwort Bankgeheimnis – die Kunden mit Banken verbinden. Nur müssen Banken mit diesem Gut auch sehr sorgfältig umgehen. Nachlässigkeiten, die man anderen Marktteilnehmern vielleicht durchgehen lassen würde, dürfen sich Banken nicht erlauben. Auch wenn das in manchen Situationen in einem gewissen Konflikt zur Benutzerfreundlichkeit stehen kann.

Wie werden Big Data und künstliche Intelligenz die Finanzwirtschaft verändern?
Kühne: Big Data ist in der Finanzwirtschaft insofern nichts Neues, da die Analyse einer Vielzahl von Kapitalmarktinformationen und Konjunkturdaten schon lange ein wichtiges Element im Asset Management darstellt. Mit Zunahme der Rechen- und Speicherleistung nehmen die Möglichkeiten zu. Theoretische Konzepte können eher praktisch verprobt, hochpersonalisierte Anlagestrategien umgesetzt werden. Ebenso wird Künstliche Intelligenz und Machine Learning die Güte von Ansätzen wie Mustererkennung und regelbasierte Anlagestrategien weiter erhöhen. Aber auch dies findet in einem evolutionären Prozess statt, disruptive Veränderungen erwarten wir nicht. Im Kontext Big Data wird ferner häufig auf den Datenschatz der Banken hingewiesen. Spätestens mit PSD2 hat der Kunde aber die Hoheit über seine Bankdaten und die Möglichkeit, diese mit anderen zu teilen. Da Kundennutzen dann zu erwarten ist, wenn Daten aus unterschiedlichen Kontexten sinnvoll kombiniert werden, ist noch nicht ausgemacht, wer hier am Ende erfolgreiche Geschäftsmodelle etabliert.

 

Weiterführende Informationen: https://navigator.mmwarburg.de

Bildlizenzen: M.M.Warburg & CO (AG & Co.) KGaA